Zur Person: Natalia Prawossudowitsch

Natalia Prawossudowitsch wurde 1899 in Vilnius geboren. Die Mutter hatte Klavier studiert und gab Natalia ersten Klavierunterricht. Ab 1918 studierte sie am Konservatorium in St. Petersburg Klavier bei Vera Skrjabin, der Frau von Alexander Skrjabin. Nach deren Tod 1920 beendete sie das Klavierstudium und wechselte zur Komposition bei Sergej Ljapunow und Alexander Glasunow. 1925 schloss sie mit dem Diplom ab.

Ihre Familie geriet zunehmend ins Visier des stalinistischen Regimes und wurde politisch verfolgt. Als Prawossudowitsch auf Vermittlung Glasunows die Möglichkeit bekam, in Berlin zu studieren, nützte sie deshalb die Chance zur Emigration. Ihr Vater wurde wenig später verhaftet, ins Arbeitslager deportiert und 1929 erschossen.

In Berlin wurde Prawossudowitsch Studentin von Arnold Schönberg und konnte sich als Komponistin schnell durchsetzen. Dennoch gestaltete sich das Leben immer schwieriger: Wegen der wachsenden finanziellen und gesundheitlichen Probleme nahm sie schließlich 1931 das Angebot an, nach Meran in die Stiftung Borodine – eine Einrichtung für russische Asylanten – zu übersiedeln.

Sie komponierte weiter mit großem Arbeitspensum, nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendete sie jedoch 1940 abrupt das Komponieren und arbeitete fortan als Sprachlehrerin und Näherin. Sie blieb in der Villa Borodine in Meran bis zu ihrem Tod 1988.

Erst 1956, nach über 15 Jahren Schaffenspause, schrieb sie wieder Musik: die erste Komposition war ein Streichtrio, das Opus 36. Danach komponierte sie wieder regelmäßig, zunächst hauptsächlich Kammermusik und Orchesterwerke. Rasch wurden ihre Werke auch mit Erfolg öffentlich aufgeführt – u.a. vom Meraner Kurorchester, aber auch in Deutschland. Ab 1968 erblindete Prawossudowitsch allmählich. Dennoch komponierte sie bis 1983 kontinuierlich weiter, zuletzt ausschließlich für Klavier. Sie starb 1988 und ist am Evangelischen Friedhof in Meran bestattet. Ihr Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste in Berlin.

Titelblatt des Manuskripts des Streichtrios.

Natalia Prawossudowitsch stand immer in der Tradition der russischen Spätromantik und ganz besonders Alexander Skrjabins. Die Werke der zweiten Schaffensperiode orientieren sich außerdem stark an barocken Formen und Kompositionstechniken. Auch im Streichtrio spielt der Kontrapunkt eine große Rolle, manches erinnert an Max Reger, der Einfluss von Skrjabin ist besonders in der Harmonik spürbar.

Beginn des ersten Satzes des Streichtrios.

Strenger Kontrapunkt und starke Expressivität bilden die Pole, aus denen Prawossudowitsch‘ Musik ihre Spannung bezieht. Die Harmonik sprengt die Grenzen der Tonalität, ohne diese allerdings aufzugeben. Der Satz ist teilweise sehr dicht, Doppelgriffe und Akkorde in allen drei Instrumenten wecken den Eindruck eines deutlich größeren Ensembles.

Ob und wie oft das Streichtrio zu Lebzeiten der Komponistin aufgeführt wurde, wissen wir nicht. Wir haben das Trio op.36 erstmals im November 2024 komplett öffentlich gespielt und seither fix im Repertoire.